Der seltene 9-Candarin-Kehrdruck
Ende November 1894 jährte sich zum 60. Mal der Geburtstag der Kaiserinwitwe Cixi. Zu diesem Anlass regte Sir Robert Hart, Generalinspektor des Seezollamtes, eine Briefmarken-Sonderausgabe an.
Neun verschiedene Marken wurden von dem Franzosen R. A. deVillard entworfen und von der Statistischen Abteilung des Zolls gedruckt (Mi. Nr. 7-15):
Es existieren vier verschiedene Auflagen der Sonderausgabe, jedoch nur die erste ist offiziell ohne Aufdruck und auf weißem, dünnen Büttenpapier erschienen. Eine Ausnahme bilden wenige Exemplare des 3-Candarin-Wertes der zweiten Auflage. Der Verwendungszeitraum der Briefmarken war sehr kurz. Im Januar 1897, knapp zwei Jahre nach Erscheinen, wurden aufgrund der Währungsumstellung von Tael auf Dollar, Marken in neuer Währung notwendig. Echtgelaufene Briefe aus diesem Zeitraum stellen absolute China-Raritäten dar und werden zu hohen Preisen gehandelt. Auf der ROCPEX in Taipeh (Taiwan) gab es 1981 anlässlich zum 70. Gründungsjubiläum der Republik China eine Ausstellung mit vielen China-Raritäten. Unter anderem wurde dort ein Brief mit einem Kehrdruckpaar der 9-Candarin-Marke (Mi.Nr. 13 a K) gezeigt.
Entstehung des Kehrdrucks
Ein kompletter Bogen der 9-Candarin-Marke (1. Auflage) bestand aus sechs Einheiten:
Einheit 1 Einheit 2
Einheit 3 Einheit 4
Einheit 5 Einheit 6
Jede Einheit bestand aus 25 Marken:
01 02 03 04 05
06 07 08 09 10
11 12 13 14 15
16 17 18 19 20
21 22 23 24 25
Auf Feld 21 steht die Marke Kopf. Diesen Kehrdruck findet man schon bei den ersten Probedrucken der 9-Candarin. Die Probedrucke zeigen, dass anfangs nur eine Einheit von 25 Marken existierte, von der wiederum sechs Kopien angefertigt wurden, aus welchen man dann eine Druckplatte für einen kompletten Bogen formte. So ist der Kehrdruck in jeder der sechs Einheiten eines Bogens auf Feld 21 zu finden. Doch traten durch das Kopieren der Klischees kleine Unterschiede auf, anhand derer man heute die Position jeder einzelnen Marke im Bogen bestimmen kann. Somit gibt es sechs verschiedene Typen des 9-Candarin-Kehrdrucks.
Mittels dieser Unterschiede, sog. Typenmerkmale, lässt sich auch leicht bestimmen, ob die Marke echt ist. Meist handelt es sich bei den Merkmalen um minimale Punkte oder kleinste Unterbrechungen der Linien, die im Markenbild immer wiederkehren. Verfasser einiger Artikel zu diesem Thema und Experte auf diesem Gebiet ist Dr. Ji Sun (nystamps@yahoo.com). Wen nur die Plattenmerkmale des 9-Candarin-Kehrdrucks interessieren, der wird im Chan-Katalog fündig.
Zwei Briefe mit dem 9-Candarin-Kehrdruck
Wie oben schon erwähnt, sind Marken dieser Serie auf Brief sehr selten. Mir sind zwei Briefe mit jeweils einem senkrechten Kehrdruckpaar der 9-Candarin bekannt. Beide Briefe sind Einschreiben und gingen an einen Herrn J. Maus (Oberleutnant a. D.) in Lichtentahl bei Baden-Baden. Auch die Handschrift in der die Adressen geschrieben sind, ist die gleiche. Ungewöhnlich ist, dass die Absenderangaben fehlen. Wichtige Sendungen verschickte man als Einschreiben und gab sicherheitshalber immer noch die eigene Absenderadresse an.
Erster Brief
Der erste Brief ist im Ausstellungskatalog der „ROCPEX TAIPAI ´81“ (Seite 115) zu finden (aus Copyright-Gründen kann dieser Brief hier nicht abgebildet werden). Frankiert ist er mit einem senkrechten Dreierstreifen der Hongkong Victoria 10c (Mi.Nr. 33 oder 37), eine 10c China CIP (Mi.Nr. 52, die Mi.Nr. 65 erschien erst 1902/1903) und einem Kehrdruckpaar der 9-Candarin (Mi.Nr. 13 aK). Die Hongkong-Marken sind mit einem unsauberen Abschlag eines Hongkong-Stempels vom 29. Januar 1899 versehen. Die chinesischen Marken wurden mit einem Ovalstempel in Englisch entwertet: „IMPERIAL POST OFFICE WUCHOW 27 JAN 1899“.
Von dem Ovalstempel aus Wuchow gibt es zwei Typen. In diesem Fall handelt es sich um die seltene zweite Type. Type I wurde zwischen dem 24. August 1897 und dem 25. Oktober 1898 in blauer Farbe und Type II bis 25. März 1899 in schwarzer Stempelfarbe verwendet. Nebengesetzt ist ein ca. 2 cm großer „R“-Stempel, der anzeigt, dass es sich um eine eingeschriebene (registrierte) Sendung handelt. Erst seit dem 20. Februar 1897 war es für die Öffentlichkeit möglich, Einschreiben zu verschicken. Die „R“-Stempel liess jedes Postamt für sich lokal herstellen.
Zweiter Brief
Der zweite Brief an Herrn Oberleutnant Maus wurde 2014 in einem Briefe-Lot auf einer deutschen Briefmarken-Auktion (Dr. Wilhelm Derichs GmbH) versteigert:
Ein wirklich schönes Stück, wenn es sich nicht hierbei um eine Verfälschung handeln würde.
Aufgegeben wurde der Einschreibebrief in Kiautschou. Die beiden Marken (Mi.Nr. 4 I und 3 II) des Deutschen Auslandspostamtes in China wurden am 31. August 1901 entwertet. Das Porto von 30 Pfennig für ein Einschreiben ins Deutsche Reich war korrekt.
Angekommen ist der Brief in Lichtenthal (Baden) am 9. Oktober 1901. Nur klebte auf dem Brief zu diesem Zeitpunkt noch kein Kehrdruckpaar der 9-Candarin-Marke.
Das Kehrdruckpaar wurde erst später hinzugefügt und auf Vorlage am Postamt in Kiautschou wenige Jahre später entwertet.
Den chinesischen Zweikreisstempel (Lunar-Stempel) nennt im oberen Teil den Namen der Provinz Schangtung 東山 (damals wurde noch von rechts nach links geschrieben) und im unteren Teil den Namen der Ortschaft Kiautschou 州膠. Im Mittelteil steht das Datum (nach dem Mondkalender). Übersetzt man das Datum in den westlichen Kalender, lautet es: 15. November 1905.
Ein falsch eingestelltes Datum kann ausgeschlossen werden, da diese Stempelform erst seit 1903/1904 in Verwendung ist. Basierend auf der postinternen Anweisung Nr. 93 vom 26. November 1903 wurde beschlossen, Poststempel mit traditioneller Datumsangabe nach dem Mondkalender einzuführen. Die seit 1899 eingeführten zweisprachigen Stempel mit der Datumsangabe nach westlichem Kalender sollten von nun an als externe Stempel weiterverwendet werden. Im Design richtete sich der Lunar-Stempel nach den japanischen Ortstempeln.
Schaut man sich den Brief noch etwas genauer an, findet man eine rechteckige Verfärbung des Papiers zwischen den beiden Lunar-Stempeln:
Die auf dem Bild orangbraune Verfärbung beginnt unten an der Schleife des Buchstaben „J“ und grenzt an den Buchstaben „L“ von „Lichtenthal“. Nimmt man nun eine Vermessung des Einreibzettels vor, wird klar, dass jener dort, wo sich jetzt der Kehrdruck und ein Lunar-Stempel befindet, einst der R-Zettel klebte.
Aus Platzgründen hatte man (Herr Maus?) diesen wahrscheinlich mit Hilfe von Wasserdampf abgelöst und wieder auf den Brief, nachdem dieser aus Gefälligkeit im Postamt Kiautschou abgestempelt worden war, wieder hinzugefügt. Um die Authentizität des Brief zu untermauern, klebte man den R-Zettel über den oberen Lunar-Stempel.
Wäre der Brief 1905 verschickt worden, würden, die deutschen Marken ein Januar-Datum von 1906 zeigen. Trotzdem wäre der 9-Candarin-Kehrdruck, genauso wie beim ersten Brief, ausserhalb seines Verwendungszeitraumes (1894-97) verwendet worden. Eine zeitgerechte Abstempelung des 9-Candarin-Kehrdrucks wäre der sogenannte Siegel-Stempel:
Letztendlich kann festgestellt werden, das beide beschriebenen Briefe für die Philatelie „produziert“ wurden. Betrachtet man die einzelnen Teile, aus denen der zweite Brief besteht, so kann man ausdrücklich und mit reinem Gewissen sagen: Alles ist echt! Die Marken, die Stempel, die Tinte, der R-Zettel – Alles echt! Doch stammen die „Bauteile“ aus verschiedenen Zeiten.
Sehr informativ, das beste was ich gelesen habe.
MfG Hano
Vielen Dank für den Kommentar. Bei Rückfragen oder Anregungen gerne Kontakt aufnehmen.