004 – Die deutsche Postdampferlinie nach Ostasien

Mit Volldampf! – Deutschland auf dem Weg zur Kolonialmacht

Nach jahrhundertelanger Zerrissenheit schuf Otto von Bismarck 1871 aus vielen deutschen Kleinstaaten das Deutsche Kaiserreich. Der Wegfall der innerdeutschen Grenzen vereinfachte den Handel und so konnte sich Deutschland zur „Wirtschaftswundernation“ auf dem europäischem Kontinent entwickeln. Doch waren seine Verkehrsverbindungen nach Übersee dem expandierenden Außenhandel bald nicht mehr gewachsen.

Das „junge“ Reich strebte danach, seine Handelsbeziehungen mit Übersee auszubauen und zu einem „Global Player“ zu werden. Das ging nur, wenn es sich von den damals herrschenden Kolonial- und Handelsmächten wie Großbritannien, Frankreich und den USA wirtschaftlich unabhängig machte.

Damals wie heute galt Ostasien als eine bedeutende Wachstumsregion. So dachte die deutsche Regierung schon frühzeitig darüber nach, wie sich die Handelsbeziehungen mit Übersee, genauer gesagt, Ostasien und Australien, verbessern liessen. Treibende Kraft hinter dieser Idee war der damalige Generalpostdirektor und Mitbegründer des Weltpostvereins Heinrich von Stephan.

Heinrich von Stephan
Heinrich von Stephan

Auf nach Fernost!

Mit großer Aufmerksamkeit verfolgte er die Entwicklung aller Überseeverbindungen. Von Stephan erkannte, dass durch die Dampfschifffahrtsgesellschaften andere Länder ihre Wirtschaftskraft stärkten und den Ausbau von Handelsbeziehungen ins Ausland förderten. Jedoch waren Transporte mit herkömmlichen Dampfern, die in den Anlaufhäfen zu längerem Liegen gezwungen waren, ihm für den internationalen Wettbewerb zu klein und zu langsam. Von Stephan legte daher dem Reichskanzler Otto von Bismarck einen ausführlichen Entwurf zur Errichtung und Finanzierung von Reichspostdampferlinien nach Ostasien und Australien vor. Diesem Entwurf nach, sollte der Reichskanzler ermächtigt werden, für die Errichtung und Unterhaltung der Dampferlinien geeigneten Schifffahrtsunternehmen auf 15 Jahre eine finanzielle Beihilfe von bis zu vier Millionen Mark jährlich zu bewilligen. Zusammen drängten beide Politiker auf regelmäßige deutsche Postverbindungen in diese Region.

Der Postdienst war zu jener Zeit das einzige zuverlässige Kommunikationsmittel und nach der durch die Industrielle Revolution ausgelösten Globalisierungsschub immer wichtiger geworden.

Deutsche Postdampferlinien weltweit
Deutsche Postdampferlinien weltweit

Widerstand im Reichstag

Die mit der Beratung des Entwurfs betraute Kommission kam zu keiner Entscheidung. Anscheinend handelte es sich hier um ein Prestigeobjekt, das nur durch Subventionen seitens des Staates finanzierbar wurde. Aus rein kaufmännischer Perspektive lohnte es sich auf den ersten Blick nicht: Für deutsche Schifffahrtsunternehmen waren Liniendienste außerhalb der Amerika-Linie nicht gewinnbringend, zumal die konkurrierenden Postlinien anderer Nationen staatliche Zuschüsse erhielten.

Erst 1884/85, mit einem neu gewähltem Reichstag und dem Erwerb von Kolonien in Afrika und im Pazifik wendete sich das Blatt. Nach zehnmonatiger Wartezeit konnte nun endlich im Reichstag die Beratung über den Entwurf beginnen.

Reichstag (1889)
Reichstag (1889)

Aus einer Idee wird Wirklichkeit

Inzwischen war von Stephans Vorschlag auf den Mittelmeerraum und Afrika ausgedehnt worden. Nach langen Verhandlungen im Reichstag erkannte die Mehrheit der Abgeordneten die möglichen Vorteile von Reichspostdampferlinien: Erhöhung der Produktionskräfte, Stärkung der einheimischen Industrie, Schaffung neuer Wege ins Ausland, frei von Hindernissen und Verzögerungen, Beseitigung des Zwischenhandels, Gründung neuer Niederlassungen von Unternehmen, Aufbau deutscher Stützpunkte weltweit, Schutz der deutschen Seefahrt und deutscher Kaufleute in Übersee. Die Reichstagsabgeordneten bewilligten zwar die Dampferlinien nach Ostasien und Australien, lehnten jedoch die Routen nach Afrika ab und blieben dem Projekt von Stephans gegenüber weiterhin skeptisch eingestellt.

Heinrich von Stephan fasste es kurz und bündig zusammen:

„Wer Kolonialpolitik will, der muss auch diese Dampfer wollen; denn Kolonien errichten und ihnen keine Brücke schaffen, keine Verbindung mit dem Heimatlande, das ist ein offenbarer Widerspruch.“.

Der Vertrag

Im Juli 1885 unterzeichneten Bismarck und der Chef des Norddeutschen Lloyd, Hermann Heinrich Meier, den Vertrag über den Bau neuer Dampfer und die neuen Postdampferlinien.

Da die Regierung in Berlin auf preußische Pünktlichkeit drang, wurde in dem Vertrag genau festgelegt, dass:

  • alle Abfahrten im vierwöchigen Rhythmus stattfinden sollten,
  • die Schiffe nach Ostasien mindesten zwölf Knoten und Schiffe nach Australien mindestens 11,5 Knoten fahren mussten,
  • eine Reise von Suez bis Hongkong maximal 588 Stunden und bis Shanghai exakt 658 Stunden dauern durfte.

Sollten diese Bedingungen seitens des Norddeutschen Lloyd nicht erfüllt werden, wären hohe Konventionalstrafen fällig. Weiterhin hieß es:

Sollten diese Bedingungen seitens des Norddeutschen Lloyd nicht erfüllt werden, wären hohe Konventionalstrafen fällig. Weiterhin hieß es:

„Die Dampfer dürfen in ihrer Konstruktion und Einrichtung namentlich in Bezug auf Sicherheit, Bequemlichkeit und Komfort für die Reisenden, sowie hinsichtlich der Verpflegung den auf denselben Linien laufenden Postdampfern anderer Nationen nicht nachstehen.“.

Auch die Größe der zunächst 16 Schiffe wurde genau vorgegeben. Der Norddeutsche Lloyd verpflichtete sich auch, dass alle neuen Dampfer auf deutschen Werften gebaut und ältere dort umgerüstet werden.

Norddeutscher Lloyd (Amerika-Linie), Reklame 1903
Norddeutscher Lloyd (Amerika-Linie), Reklame 1903

Der erste Reichspostdampfer sticht in See

Im Sommer 1886 war es endlich soweit. Der Verkehr nach Ostasien und Australien wurde feierlich in Bremerhaven eröffnet – ein historisch bedeutender Schritt für das Deutsche Reich auf dem Weg zu einer Kolonial- und Seemacht. Zum ersten Mal würden deutsche Dampfer Europa mit Ostasien und Australien verbinden.

Es war die „Oder“, die unter dem Jubel der Menschen als erstes Schiff auf der Ostasien-Linie in See stach. Unter den hochkarätigen Gästen aus Wirtschaft und Politik befand sich auch der kaiserlich chinesische Diplomat, Xu Jingcheng (許景澄), der die neue Linie als „Bindeglied der guten Beziehungen Deutschlands zu China“ bezeichnete.

Xu Jingcheng
Xu Jingcheng

Der Dampfer, damals das einzige Überseeverkehrsmittel wurde zum Sinnbild für Aufbruch, Handel und wirtschaftlichem Aufschwung. Als schwimmende „Spitzentechnologie“ konnten nun auch die deutschen Reichspostdampfer als Symbol „deutschen Fortschritts und aufstrebender Handelsmacht“ nach Übersee fahren. Sie hatten so ziemlich alles an Bord, was die deutsche Industrie zu bieten hatte: von Farben über Chemikalien, Metallwaren, Maschinen, Kleidung bis hin zu Tabakwaren. Für die Rückfahrt aus Fernost luden sie hauptsächlich Rohstoffe wie etwa Seide, Wolle, Pelze, Leder, Tee, Kaffee und Gewürze.

Werbeplakat der Dampferlinie (1898)
Werbeplakat der Dampferlinie (1898)

Nach den ersten erfolgreichen Fahrten der Reichspostdampfer entstanden die ersten deutschen Postämter in China und auf Samoa. 1887 folgte die ersten Postdienststelle in Kamerun, 1888 in Togo, Deutsch-Südwestafrika und weitere in der Südsee. Erst die Erfolge in Ostasien brachten 1889 die Zustimmung des Reichstags zur Ostafrika-Route. So konnte ab 1890 damit begonnen werden, auch Posteinrichtungen in Ostafrika aufzubauen.

Reichspostdampfer und ihre Stempel

Postkarten und Briefe durften an Bord der Reichspostdampfer auf der Ostasien-Linie nur in folgenden Häfen abgegeben werden: Hongkong, Singapur, Nagasaki, Moji, Kobe und Yokohama. Jeder Reichspostdampfer (RPD) hatte seine eigene Poststelle und somit auch seinen eigenen Poststempel an Bord. Welcher Stempel zu welchem Dampfer gehörte, findet man mit Hilfe des Stempeldatums und eines Kennbuchstabens unten rechts im Stempel heraus:

Seepost-Stempel mit Kennbuchstaben "b"
Seepost-Stempel mit Kennbuchstaben „b“

Auszug aus der Stempel-Liste für den Kennbuchstaben „b“:

RPD „Neckar“: 28.07.1886 bis 05.03.1887

RPD „Preußen“: 01.06.1887 bis 10.06.1892

RPD „Neckar“: 17.08.1892 bis 10.08.1893

RPD „Bayern“: 13.09.1893 bis 06.08.1894

RPD „Preußen“: 19.12.1906 bis 03.09.1907

Eine vollständige Auflistung der Stempel findet man im „Stempelkatalog der Arbeitsgemeinschaft der Sammler deutscher Kolonialpostwertzeichen“.

Diese sogenannten „Seepost-Stempel“ werden, je nach Seltenheit, von Sammlern unterschiedlich hoch bewertet. Besonders selten und gesucht ist z. B. der Stempel des ersten Reichspostdampfers „Oder“, der im Sommer 1886 nach Ostasien aufbrach. Nur dieser trägt den Kennbuchstaben „a“. Die Stempel der Dampfer der „Ost-Asiatischen Hauptlinie“ umfassen die Kennbuchstaben „a“ bis „g“.

1907, Ansichtskarte mit Stempel der Deutsche Seepost Ost-Asiatische Hauptlinie
1907, Ansichtskarte mit Stempel der Deutsche Seepost Ost-Asiatische Hauptlinie

Die hier zu sehende Karte zeigt den Stempel mit Kennbuchstaben „b“ vom 14. Juni 1907. Laut Stempel-Liste wurde dieser zwischen dem 19.12.1906 und 03.09.1907 an Bord des Reichspostdampfers „Preußen“ verwendet.

Der Pechvogel auf Hoher See

Die „Preußen“ war einer der ersten Reichspostdampfer, die gebaut wurden und lief am 10. Juli 1886 vom Stapel. An Bord fanden 100 1. Klasse-, 28 2. Klasse- und 2202 Zwischendeckpassagiere Platz.

Dampfer "Preußen" (1886)
Dampfer „Preußen“ (1886)

Leider traten während ihrer Jungfernfahrt nach Australien am 3. November einige Pockenfälle auf. So konnten die Passagiere erst nach zweimonatiger Quarantäne in Sydney an Land gehen.

Ihre erste Fahrt nach Ostasien begann am 1. Juni 1887. Sieben Jahre später, 1894, wurde der Dampfer in Hamburg bei Blohm & Voss umgebaut und auf 143 Meter verlängert.

Schiffswerft Blohm & Voss in Hamburg (1877)
Schiffswerft Blohm & Voss in Hamburg (1877)

Doch das Pech sollte den RPD „Preußen“ weiter verfolgen. 1902 kollidierte er in Hamburg mit dem dänischen Dampfer „Orrik“, welcher daraufhin sank. Kurz vor Weihnachten, am 23. Dezember 1903, strandete der „unglückliche“ Reichspostdampfer vor Vlissingen an der niederländischen Küste. Erst am 2. Januar 1904 konnte er geborgen werden. 1908 wird das Schiff von der Ostasien-Linie abgezogen und auf der Route Marseille-Odessa-Batum eingesetzt. 1909 endet die Fahrt der „Preußen“ in Genua (Italien), wo man sie abgewrackte.

Mit Volldampf in die neue Zeit

Die oben gezeigte Karte wurde am 12. Juni 1907 in Penang (Malaysia) geschrieben, am 14. Juni in Singapur und an Bord des Dampfers „Preußen“ abgestempelt, welcher sie dann nach Deutschland weiterbeförderte.

1907, Ansichtskarte mit Stempel der Deutsche Seepost Ost-Asiatische Hauptlinie
1907, Ansichtskarte mit Stempel der Deutsche Seepost Ost-Asiatische Hauptlinie

Zusammen mit einer Unzahl an Passagieren und Tonnen an Rohstoffen aus Asien traf die Ansichtskarte in Deutschland ein. Sie ist ein Zeuge aus einer Zeit der beginnenden Globalisierung. Die Postdampferlinien verbanden die entlegensten Länder miteinander, und mit ihnen setzte sich ein intensiverer Kulturaustausch in Gang. Menschen, Waren und Ideen fuhren auf den Dampfern zwischen Asien und Europa hin und her. Eine Verbindung, die kaufmännisch zwar unprofitabel, aber kulturell unbezahlbar war! Wer weiß, wieviele Facetten unserer Kultur heute ohne den Zugang zu dieser Region fehlen würden, für den Fürst Bismarck und Heinrich von Stephan den Grundstein legten.

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Quellen:

[1] Bildmaterial: Dampfer „Preussen“, Norddeutscher Lloyd (NDL) in Antwerpen, Belgien, Library of Congress, Washington D.C. https://www.loc.gov/pictures/item/2001697880/

[2] Bildmaterial, Postdampferrouten weltweit, Bildarchiv Universität Frankfurt,http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Lexikon-Texte/_karten/Postverbindung/Postdampferlinien_Weltweit.jpg

[3] Bildmaterial, Otto von Bismarck, Bundesarchiv, Bild 183-R15449, Wikipedia,https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/0/0b/Bundesarchiv_Bild_183-R15449%2C_Otto_von_Bismarck.jpg/400px-Bundesarchiv_Bild_183-R15449%2C_Otto_von_Bismarck.jpg

[4] Bildmaterial, Hermann Heinrich Meier, Wikipedia,https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/3/34/Hermann_Henrich_Meier_-_Bellstedt_-_1890.jpg/396px-Hermann_Henrich_Meier_-_Bellstedt_-_1890.jpg

[5] Bildmaterial, Werbeplakat des NDL, 1898,https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/d/dd/Reichspostdampferlinie_-_1898.jpg/374px-Reichspostdampferlinie_-_1898.jpg

[6] Bildmaterial, Heinrich von Stephan, Wikipedia, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/8/8a/Georg_Barl%C3%B6sius_Heinrich_von_Stephan.jpg/397px-Georg_Barl%C3%B6sius_Heinrich_von_Stephan.jpg

[7] Bildmaterial, Reichstag 1889, Wikipedia, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/be/Bundesarchiv_Bild_147-0978%2C_Reichstag%2C_Plenarsitzungssaal.jpg

[8] Bildmaterial, Xu Jingcheng, Wikipedia,https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/3/3f/Xu_Jingcheng1.jpg/354px-Xu_Jingcheng1.jpg

[9] Bildmaterial, Norddeutscher Lloyd, Bremen, Reklameseite 1903, Wikipedia,https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/8/87/Norddeutscher_Lloyd_Reklameseite_1903_b.jpg/463px-Norddeutscher_Lloyd_Reklameseite_1903_b.jpg

[10] Bildmaterial, Blohm & Voss, Wikipedia, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/7/7f/Pincerno_-_Blohm_%26_Voss_1877.jpg/640px-Pincerno_-_Blohm_%26_Voss_1877.jpg

[11] Hapag-Lloyd, Mehr als Schifffahrt Verbindungen zwischen Kontinenten und Kulturen, PDF, https://docplayer.org/6697440-Mehr-als-schifffahrt-verbindungen-zwischen-kontinenten-und-kulturen.html, 2011

[12] W. Schmidt und H. WernerGeschichte der Deutschen Post in den Kolonien und im Ausland, Konkordia-Verlag R. Rudolph, 1942, S. 12 ff.

[13] Christina Heinrich, www.schiffe-maxim.de, http://www.schiffe-maxim.de/Preussen.htm

[14] ArGe Deutsche Kolonien, Stempelkatalog Deutsche Kolonien und Auslandspostämter,18. Auflage, 2018

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